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Philosophische Betrachtung

Unter philosophischen Aspekten wird Bildung als Mittel von Selbstverwirklichung, Emanzipation, als Bürgerrecht definiert. "Die Überzeugende Begründung einer aktiven Bildungspolitik kann - so möchte ich behaupten und auch argumentieren - nur in Anknüpfung an den Gedanken eines Bürgerrechts auf Bildung erfolgen.(...)Das Bürgerrecht auf Bildung ist zunächst ein soziales Grundrecht aller Bürger, das gleichsam den Fußboden absteckt, auf dem jeder Staatsbürger stehen darf und muß, um als solcher tätig zu werden." 6 Dieses Recht ist stets ergänzungsbedürftig und nie erfüllt. Nach lesen und schreiben werden nun Fremdsprachen und mathematische- ebenso wie wirtschaftliche und politische Kenntnisse zum Inhalt dieses Bürgerrechts. Als zweite Komponente wird die Gewähr von Chancengleichheit betrachtet: "Der zweite Aspekt des Bürgerrechts auf Bildung betrifft die Chancengleichheit in jenem rechtlichen Sinne, in dem dieser Begriff zumeist gemeint ist. Es darf keine systematische Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Gruppen aufgrund leistungsfremder Merkmale wie Herkunft oder wirtschaftlicher Lage geben." Wobei es in der Diskussion durchaus streitig ist, ob Leistung die Chancen des Individuums schmälern oder verbessern darf. ( Vom Postulat $\gg$alle Menschen sind gleich$\ll$ ausgehend, können leistungsbezogene Differenzierungen durchaus als ungerecht abgelehnt werden) "Aber die umwälzende Kraft des Bürgerrechts auf Bildung liegt in seinem dritten Aspekt. Rechtliche Chancengleichheit bleibt ja eine Fiktion, wenn Menschen auf Grund ihrer sozialen Verflechtungen und Verpflichtungen nicht in der Lage sind, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Wer seine Kinder zwar auf die höhere Schule schicken darf, aber durch den Kenntnis- und Wunschhorizont seiner sozialen Lage - als Katholik etwa oder als Arbeiter, als Dorfbewohner - gar nicht auf den Gedanken kommt, dies auch zu tun, ist ein sehr abstrakter Staatsbürger der Theorie, doch nicht der Realität. Das jede Chance zwei Seiten hat, die der objektiven Möglichkeiten - der Erlaubnis -und die der subjektiven Möglichkeit - der Fähigkeit-,ist ein Gedanke, der fast so alt ist wie die modernen Verfassungen, die dennoch immer wieder Menschen Dinge erlauben, ohne sie in die Lage zu versetzen, ihre Rechte auch auszunutzen." 7 Wobei Dahrendorf allerdings eine Empfehlung, wie konkret der Wunschhorizont der Menschen egalisiert werden kann, ohne zugleich die Freiheit des Individuums einzuschränken, vermissen läßt.
Im Gegensatz zu Dahrendorfs normativen Erwägungen, läßt sich Bildung auch in Bezug zu ihrer Funktion, wie sie ist oder auch wie sie wahrgenommen wird, analysieren.
Pierre Bourdieu betrachtet Bildung als Instrument der Distinktion. In seiner Betrachtung ist das Bestreben sich von den Schichten unter sich abzusetzen, verbunden mit dem Bestreben sich der Schicht über sich anzugleichen, der Motor von Bildungsanstrengungen und Auslöser der im wesentlichen künstlichen Obsoleszens von Bildungs-Zertifikaten. Dieser ewige Wettlauf zur Wahrung der Abstände, ändert nichts am System sozialer Differenzierung. Im Gegenteil, "...in allen diesen symbolischen Klassenkämpfen gegen die Träger kultureller Qualifikationsbescheinigungen sieht der $\gg$anmaßende$\ll$ Herausforderer seine Kenntnisse und Fertigkeiten höchstwahrscheinlich zugunsten von $\gg$grundlegenderem$\ll$ und $\gg$zweckfreierem Wissen abgelehnt..." 8 Der süffisante Spott auf die kaum definierbaren $\gg$Extrafunktionalen Qualifikationen$\ll$ und ihre Funktion als Instrument der Herrschaftssicherung der Kaste der Träger der $\gg$legitimen Kultur$\ll$, wirft schillernde Schatten auf die in dieser Abhandlung noch folgende Darstellung politischer und wissenschaftlicher Begründungen der Notwendigkeit von $\gg$Schlüsselqualifikationen$\ll$ . Der Gedanke ist im übrigen nicht ganz neu. Die Betrachtung von Bildung und speziell von Bildungszertifikaten als Instrument der Zugangsbeschränkung zu Schlüsselpositionen gesellschaftlicher Macht ist schon 1922 bei Max Weber zu finden: "Wenn wir auf allen Gebieten das Verlangen nach der Einführung von geregelten Bildungsgängen und Fachprüfungen laut werden hören, so ist dies selbstverständlich nicht ein plötzlich erwachender $\gg$Bildungsdrang$\ll$, sondern das Streben nach Beschränkung des Angebotes für die Stellungen und deren Monopolisierung zugunsten der Besitzer von Bildungspatenten der Grund."9 
Eine fatalistische Betrachtung fand ich in der $\gg$Computerwoche$\ll$ vom 18.3.91, die allerdings ein unangenehm gerüttet Maß an Wahrheit enthält: "Jede Entwicklung in der Informatik, die man verstanden hat, ist veraltet."10 Diese Einschätzung ist natürlich vernichtend für jeden Bildungsplaner, und so auch gemeint:"Wenn wir zum Beispiel nachdenken, was man etwa in den Grundschulen unterrichten sollte, dann müssen wir uns doch überlegen, wie die Welt zu dem Zeitpunkt ausschauen wird, wo die gegenwärtigen Kinder 15 oder 20 Jahre später als Diplomingenieure die Berufswelt betreten. Das heißt also wir müssen technische Prognosen machen über einen Zeitraum von vielleicht 15 oder 20 Jahre hinweg...eine Prognose über einen solchen Zeitraum...ist nur noch Science-fiction"11
Diese Kritik der Planungsmöglichkeit von Zukunfts-Optionen, leitet über zu der gesellschaftlichen Instanz, deren Aufgabe gerade in der Definition von Handlungsoptionen zur Zukunftsgestaltung liegt.


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Matthias Steppuhn 2003-07-05