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Zum Thema

Berufliche Aus- und Fortbildung in Deutschland im Spannungsfeld industrieller Beziehungen, ist ein Titel der eigentlich etwas langatmig geraten ist. Dennoch entschloß ich mich ihn zu wählen. Diese Wahl möchte ich einleitend begründen.
Bildung ist zunächst ein nahezu klassisches Thema sozialwissenschaftlicher Betrachtung, so entwickelt z.B. Max Weber in seiner Herrschaftssoziologie den Gedanken des Gegensatzes zwischen Fach- und Kulturmenschentypus "Hinter allen Erörterungen der Gegenwart um die Grundlagen des Bildungswesens steckt an irgendeiner entscheidenden Stelle der durch das unaufhaltsame Umsichgreifen der Bürokratisierung aller öffentlichen und privaten Herrschaftsbeziehungen und durch die stets zunehmende Bedeutung des Fachwissens bedingte, in alle intimsten Kulturfragen eingehende Kampf des $\gg$Fachmenschen$\ll$ - Typus gegen das alte $\gg$Kulturmenschentum$\ll$ " 1 Weber konstatierte die Entwicklung fort von "...der Qualität der Lebensführung, die als $\gg$kultiviert$\ll$ galt, Ziel der Erziehung war..." 2 , hin zum bürokratischen Spezialistentum. Weber betont an dieser Stelle, daß seine Ausführungen nicht als wertend verstanden werden dürften.
Im Gegensatz zu dieser (zweifelsohne zu seiner Zeit berechtigten) Prognose Webers, wird derzeit wieder stärker Gewicht auf sogenannte $\gg$soziale Kompetenz$\ll$ und Kommunikationsfähigkeit gelegt bzw diese Tendenz der gesellschaftlichen Gegenwart diskutiert. Diese vielfach auch als Schlüsselqualifikation bezeichneten $\gg$Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten$\ll$ 3 werden zum Beispiel von M.Zarth als "Technikverständnis, Befähigung zur Kommunikation und Teamarbeit, Kreativität, Fähigkeit zu lebenslangem Lernen, Problemlösungsfähigkeit, Pflicht und Verantwortungsbereitschaft" 4 definiert. Obwohl diese Schlüsselqualifikationen meist im Zusammenhang mit beruflicher Bildung diskutiert werden, sind sie kaum noch im Weberschen Sinne als Fachqualifikationen zu werten. -Zu offensichtlich sind die Parallelen zu gesellschaftlich allgemein positiv gewerteten Kulturelementen. - Aus den hier (willkürlich) angeführten Beispielen, wird die Bedeutung der Bildung und gleichzeitig die enorme Spannweite des Begriffs deutlich; von kulturellem und sozialem Wissen, bis zu technischem5 know how. Aufgrund dieser Spannweite des Terminus $\gg$Bildung$\ll$, ist eine Einschränkung des Themas, so reizvoll es auch ist, unumgänglich.
Nun habe ich jedoch Weber und Zarth nicht völlig willkürlich gewählt. Die Beziehung auf wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtete Autoren markiert das Zentrum meines Interesses, die Funktion der (oder das Funktionieren von-) Bildung in der arbeitsteiligen Gesellschaft.
Die Begrenzung auf Deutschland ist aus recht naheliegendem Gründen gefallen; ich reflektiere hier nicht auf die um Aktualität ringende Floskel der aktuellen politischen Entwicklungen um die deutsche Einheit, (wie nahe sie einen auch immer persönlich betroffen hat). Entscheidend war die schlichte Tatsache, daß das Wissen über die vertraute Kultur eine Analyse auf ein solideres Fundament stellt. Dies gilt besonders, da man leicht geneigt ist, Verhaltensmuster welche für einen persönlich sinnlehr sind, oder Metaphern einer Kultur, deren Symbolik einem nichts sagt, gründlich fehl- zu interpretieren. Oder anders herum, um das Berufsbildungswesen eines fremden Staates interpretativ zu bearbeiten, wäre es vorteilhaft wenn nicht notwendig, sich zunächst mit Kultur Tradition und Sprache desselben zu befassen, was das eigentliche Thema dominieren müßte.
Zum Schluß das Spannungsfeld der industriellen Beziehungen. Dieser Punkt ist für den Soziologen der wahrhaft interessante Punkt. Spannungen, Konflikte, Interessengegensätze und die Institutionen, Verbände, Werkzeuge und Gepflogenheiten ihrer Lösung ( oder auch Pflege ), bieten einen tiefen Einblick in die Funktionsweisen (unseres) gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Ziel dieser Abhandlung ist zunächst einmal die Darstellung der Interessenkonflikte und Konvergenzen der Akteure in Bezug auf Aus- und Fortbildung. Soweit möglich sollen die durch die kollektiven Akteure vertretenen Interessen auf Mitgliederinteressen und Organisationsinteressen und politische Interessen zurückgeführt werden. Hierbei werden leider die Gewerkschaften dominieren, da sie in der Literatur und in der Presse wesentlich stärker beobachtet werden, als dies mit den Arbeitgeberverbänden geschieht.
Diese Arbeit soll keine allgemeingültige Theorie der Entwicklung zum Ergebnis haben ! Sie hat auch nicht eine Bewertung des Systems der industriellen Beziehungen in Deutschland zum Ziel. Jedoch soll diese Arbeit in der Lage sein zu zeigen, daß dieses System sich dynamisch verändert und an die Erfordernisse der Zeit anpaßt. Ob die im Zuge dieser Anpassung zu beobachtende Bürokratisierung, die immer stärkere rechtliche und vertragliche Normierung aller Bereiche der industriellen Beziehungen, über einen längeren Zeitraum die Dynamik des Systems konterkarieren wird, muß dahingestellt bleiben - ist nicht Thema dieser Arbeit. (Auch wenn ich eine solche Entwicklung für möglich und bedenklich halte)
Zur Vorgehensweise: Zunächst soll der Begriff Berufsbildung geklärt werden. Dies soll, mit Blick auf die starke rechtliche Normierung, anhand des §1 Berufsbildungsgesetz erfolgen. Im folgenden Schritt werden die Erwartungen, welche an Bildung gestellt werden beleuchtet, was unmittelbar zu den politischen Zielen, welche mit oder über Berufsbildung verfolgt werden, überleitet. Anschließend wird der industrial-relations Ansatz Schlaglichtartig dargestellt und auf die bundesdeutsche Situation bezogen. Das zweite Kapitel wird der derzeitigen Situation gewidmet, da die Analyse einer dynamischen Gesellschaft (es sei unterstellt, daß die bundesdeutsche Gesellschaft dies {noch ?} ist) sich stets auf Momentaufnahmen beschränkt. Dies gilt besonders auch für den rechtlichen Rahmen, welcher sich unter stetem Einfluß von Interessengruppen und politischen Parteien wandelt. Im dritten Kapitel sollen die in die Auseinandersetzung involvierten Akteure und ihre Interessen beschrieben werden. Das Kapitel vier problematisiert die Interessengegensätze der Akteure sowie die konkreten Streitpunkte zum Thema Qualifizierung. Nach dem Konflikt werden die Ebenen des Ausgleichs thematisiert. Im Kapitel fünf werden diese Konfliktreduktions-Instanzen beschrieben und anhand ausgewählter Beispiele illustriert.
Das letzte Kapitel versucht einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung und stellt einige offen gebliebene Fragen, welche die Neugier des Autors beflügeln und beinahe die rechtzeitige Abgabe dieser Abhandlung verhindert hätten.




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Matthias Steppuhn 2003-07-05